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Dem Morden in Syrien Einhalt gebieten, aber wie? Regimeflüchtlinge vor der französischen Botschaft in Amman müssen erkennen, dass sie mit ihrem Hilferuf an der falschen Adresse sind.

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André Glucksmann trauert dem Europa Václav Havels nach.

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"Herr im eigenen Haus!" Überall auf der Welt hat sich das Prinzip der Nichtintervention als unantastbarer Grundsatz durchgesetzt und schützt die Machthaber, wie auch immer diese sich vergehen. So kommt es, dass trotz Folter, Morden und massiver Unterdrückung Bashar al-Assad Immunität zugebilligt wird, weil zwei Großmächte mit ihren Vetos den Sicherheitsrat lahmlegen. Wiewohl diese mit ihren eigenen Interventionen bekanntlich - siehe Russland in Georgien und China in Tibet - weit weniger zimperlich sind.

Noch in der Nacht vor dem letzten Resolutionsvotum im Sicherheitsrat (wieder eine beschwichtigende Kompromisslösung) hatte Assad weitere 230 Tote in Homs verschuldet, dennoch beharrte der russische Botschafter starrsinnig auf seinem Veto. Wie konnte es sein, dass er den Mörder nach wie vor unterstützte? Hatte man denn seinen Forderungen nach Mäßigung nicht nachgegeben? Wie konnte er selbst vor diesem Ausmaß an Schmerz die Augen verschließen? Stellte sich denn bei ihm nicht der allergeringste Widerwille ein?

Es wäre falsch, hier zu unterstellen, man wäre mit den guten Absichten nur etwas im Verzug, denn die Hintermänner des Henkers von Damaskus schützen ihn - und sich selbst - aus gutem Grund. Keinesfalls sollte man annehmen, ihre Motivation entstehe aus rein merkantilen Interessen (Waffenhandel) oder taktischen Erwägungen (Militärbasis im Mittelmeer). Die Achse Peking-Moskau-Teheran-Damaskus transzendiert alle kleinlichen Kalküle, es handelt sich um eine Überlebensallianz, basierend auf Brutalität und Arroganz: "Verpisst euch!" Zur gleichen Zeit erheben sich die Völker im Zuge des demokratischen iranischen Aufstands 2009, des Arabischen Frühlings 2011 und der Straßenaufmärsche in Moskau im Winter 2011/2012 gegen Gewaltherrschaften von "Betrügern und Lügnern". Überall herrscht derselbe Wille zur Freiheit, dieselbe Ablehnung einer allgegenwärtigen und übermächtigen Korruption.

Die Paten, die die Uno paralysieren, verfolgen ein ganz bestimmtes Ziel: Assads "Aufgabe" ist es, mit welchen Mitteln auch immer, der weltweiten Epidemie antidespotischer Revolten Einhalt zu gebieten. Denn die "Ordnungsmächte" quälen einerseits Erinnerungen an die üblen Schicksale Gadaffis, Ben Alis und Mubaraks, während auf der anderen Seite erzürnte Mehrheiten das Ende der Massaker und internationalen Schutz der Zivilbevölkerung fordern. In welche Richtung wird sich die Waagschale neigen?

Und welche Rolle spielen dabei Paris, London und Berlin? - Zu Unrecht warten die Europäer tatenlos darauf, dass sich alles ohne ihre Beteiligung entscheidet. Aber es genügt einfach nicht, mit hohen Kosten vergebliche Resolutionen abzufassen und sie dann einem Sicherheitsrat vorzulegen, der durch die Vetos Russlands und Chinas blockiert ist. Die EU dachte, der Fall der Mauer habe in der Geschichte ein paradiesisches Zeitalter eingeläutet, eine Ära der Prosperität ohne Kriege und Krisen; jetzt scheppert sie mit ihrer Sammelbüchse und bettelt um Spenden bei den Oligarchen in Peking und Moskau. Die EU wird sich aus eigener Kraft und mit eigenen Mitteln den Herausforderungen der Globalisierung stellen müssen, und da geht es nicht nur um sehr viel Geld. Man wird sich eines anderen Europas besinnen müssen, des Europas Václav Havels, das sich innerhalb eines halben Jahrhunderts aus seinen Ruinen erhoben hat ...

Wenn im südlichen Mittelmeer die Bürger revoltieren, dann finden sie den Elan der "Samtenen Revolution" wieder, die die Freiheit in den Osten brachte. Wenn mutige Internetbenutzer und dissidente Intellektuelle öffentlich die Charta 08 in China unterzeichnen, dann erneuern sie explizit die Charta 77 der Prager Befreier.

Im schrecklichen 20. Jahrhundert hat Europa zwei gravierende Übel erfunden, den totalen Krieg und die totalitären Revolutionen. Und dann, ab 1945, hat dasselbe Europa aber das Gegenmittel entwickelt, das dissidente Denken und den demokratischen Aufbruch. Am Ende meinte es, mit einer Strategie des Augen-zu-und-durch sowohl die einen als auch die anderen unter einer breiten Schürze versammeln zu können. Es wird Zeit, dass sich Europa wieder auf seine antitotalitären Fundamente besinnt und dass es all jene Völker unterstützt, die im Heute dem Beispiel nacheifern, das es ihnen in der Vergangenheit vorgelebt hat.

Wie sollte nun Hilfe aussehen? Und wie können wir einander helfen? Indem wir beginnen, laut und unmissverständlich Klartext zu reden, indem wir falsche Ausflüchte und Vorwände in entscheidenden Kernfragen aufdecken. Paradox genug: Der Despot kann sich bis auf die Zähne bewaffnen, seine Freunde beliefern ihn. Auf der anderen Seite verwehrt man den Unterdrückten die Mittel zur Verteidigung. Können wir zulassen, dass ihr Schutz von einem Nichteinmischungsbeschluss abhängig gemacht wird? Den Mördern ein freier Markt, ihren Opfern widerstandslose Preisgabe?

Stellen wir daher doch einmal in aller Ruhe und Bestimmtheit fest, dass die beiden Großen, indem sie willkürlich das Überleben von Gewaltherrschaften ermöglichen, die universelle Erklärung der Menschenrechte und damit auch die Vereinten Nationen, die Erstere zu ihrem obersten Prinzip nach den Abscheulichkeiten des Zweiten Weltkrieges erhoben hatten, mit Füßen treten.

Post scriptum: Kann es wirklich sein, dass diese bescheidenen Betrachtungen einer überaus bedrohlichen internationalen Lage in den großen Debatten der französischen Präsidentschaftswahlen ausgespart bleiben? - Kleiner Lichtpunkt in unserem egozentrischen Europa: die Wahl von Joachim Gauck. (André Glucksmann, DER STANDARD, 15.3.2012)